© Claus-Dieter Böhm
SONDERAUSSTELLUNG (bis 09/2015)
“An Maria Krüger als eine fast vergessene Künstlerin, die viele Jahre ihres Lebens in Alsbach
gelebt hat, erinnert der Museumsverein Alsbach-Hähnlein mit seiner Sommerausstellung... “
(Darmstädter Echo vom 11.05.2015)
Hans-G. Sperlich:
Marie Krüger, zur Sache und zur Person
(Auszug aus dem Katalog zur Ausstellung in der Kunsthalle Darmstadt 1969)
Marie Krüger wird 1895 in Leer in Ostfriesland als Tochter eines Gymnasialprofessors
geboren. 10 Jahre lang besucht sie das Lyceum in Leer und erlebt die umhegte Kindheit, die
man sich bei Nennung dieser Jahreszahl für bürgerliche Kreise vorzustellen pflegt. Eine
Tante, Schwester des Vaters, hat Spaß am
Malen, und als sie Maries kindliches
Interesse für solcherlei Hervorbringung
feststellt, nimmt sie kurzentschlossen des
Nichtchen mit, wenn sie draußen skizziert.
Sich an ihr 9. Lebensjahr erinnernd, sagt
unsere Malerin: “ Ich weiß noch, wie
berauscht ich innerlich war, als ich eine
Blume aufs Papier brachte, die aussah wie
eine richtige.” Es gibt nicht viele Maler in
Leer. Aber die wenigen, die dort leben oder
sich vorübergehend auf-halten, fördern
Marie. 1912 und 1915 besucht sie die
Kunstschule in Hildesheim. Man malt im
Freien und im Atelier; Unterricht geben die
Professoren Maigatter und Meyer. Maigatter
führt auch die Radierklasse. 1916 und 1917 ist
Marie Krüger in Ostgalizien und in der
Bukowina, wo sie ein Dorf (unter Kaiser
Joseph II. ausgewanderter) Deutscher betreut.
Die Nachmittage benutzt sie, ıım die abwechslungsreiche Umgebung zu studieren und zu
malen. Zurückgekehrt, besucht sie wieder die Kunstschule in Hildesheim. 1920 - die Eltern
leben noch, aber Brüder und Freunde sind gefallen - heiratet sie. Der Ehe entstammen zwei
Töchter. Ihr Mann zeigt Interesse für Kunst und kommt ihren Wünschen weitgehendst
entgegen. Jedenfalls gibt er ihr die zur Arbeit notwendige Freiheit, wofür sie - ich zitiere
wörtlich - »ihm ewig dankbar« ist.
Ende der 20-er Jahre ist sie wieder in Hildesheim und nimmt Unterricht bei Professor
Eckardt. 1950 erlebt sie Worpswede, das berühmte Malerdorf bei Bremen. Viele Jahre
hintereinander ist sie oft den halben
Sommer dort. Sie malt zusammen mit
anderen Malern wie Krummacher, Udo
Peters und
Schiestl. Später, 1952, entdeckt sie das
malerische Dörflein Greetsiel an der
Nordsee und lebt dort jedes Jahr längere
Zeit (von 1956 bis heute) an der Küste.
1950 erbaut sie sich in Greetsiel ein ganz
kleines Sommerhäuschen zum Malen.
1956 und 1964 wird sie von einer Emder Reederei “ gegen Bilder” eingeladen. So nach
Italien, Spanien und Rußland. Spanien hat sie vier Monate lang malend durchstreift und
von Rußland — die Schiffsreise geht bis nach Archangelsk — bringt sie eine Mappe Bilder
mit nach Hause. 1958 und 1959 ist sie in Salzburg bei Oskar Kokoschka (Schule des
Sehens!).
Ende 1959 ist sie zum Malen an der Riviera. Sie wohnt in Menton, und von dort aus lernt sie
die ganze Küste, malend, kennen. Der Höhepunkt ist für sie eine kleine Ausstellung mit
freundlichen Berichten in der Zeitung von Nizza. So ähnlich ist es auch in Vigo bei der
Spanienreise. Reisen durch England, Schottland und Holland geben weitere Anregungen
(1962, 1965 und 1964).
1946 wird sie Mitglied des Bundes Bildender
Künstler für Nordwestdeutschland. Sie hat
Ausstellungen beschickt in Gießen, Darmstadt,
Oldenburg, Bremen, Hannover, Ostfriesland und
hatte Einzelausstellungen in Frankfurt, Wilhelms-
haven und eine umfassendere in Holland im
Princetuunmuseum in Leeuwarden (1955). 1965 ist
sie schuldlos in einen Autounfall verwickelt, der ihr
eineinhalb Jahre raubt. Es geschieht in Emden; der
Chefarzt steht am Bett der schwer Ramponierten
und sagt: »Nur wenn Sie selbst es wollen, können
Sie wieder gesund werden! Ihre Reaktion teilt sie
folgendermaflen mit: “Da sah ich plötzlich den
ganzen Himmel voll leuchtender Farben, und ich
wußte, daß mir das Malen noch einmal gelingen
wiirde.” Nun — die Menschen entwickeln die
seltsamsten Vehikel, Wenn es heiß, aus der Krisis
einer Katastrophe herauszufinden; warum sollte gerade Kunst in dieser Richtung keine
brauchbaren Qualitäten besitzen. Wie auch immer — ihr Wunschtraum hat sich erfüllt. Wir
können sie heute nicht nur als Künstlerin ausstellen, wir können sie auch als Person
präsentieren.
Auf ihren Bildem gibt es Stilleben, Landschaften und Seestücke. Es offenbart sich in ihnen
eine Art kindlichen Spaßes an den Dingen der Welt, es erweist sich durch sie eine fröhliche
Naivität, mit den Dingen der Welt
umzugehen. Bisweilen regt sich der
Verdacht, Marie Krüger malt
Landschaften nur, um nicht als
Blumenkonfektionärin zu gelten und sie
malt Stilleben nur, um nicht als
Landschafterin abgestempelt zu sein.
Und doch ist beides gleich falsch!
Zwischen Blättern mit hastig zur Skizze
umgesetztem Sehbild und Blättem weit-
gehender Abstraktion gibt es ein ausgedehntes Feld, auf dem Rhythmik der Linien und
Formen sich zu einer unverwechselbaren Handschrift zusammenschließen. Diese
Handschrift freilich, die nicht verleugnen kann und nicht verleugnen will, daß ihr der
Stoff, den sie umreißt, sehr behagt, eine solche Handschrift erzeugt logischerweise im Jahre
1969 die Gestimmtheit einer Legende. Wenn Marie Krüger mit komischer Verzweiflung
feststellt, eigentlich nicht modern zu sein, erübrigt sich jede Antwort. Natürlich ist sie nicht
progressiv modern und ihre Auffassung von der Welt als Märchen ist reiner
Anachronismus. Nur gibt es eben unredliche und redliche Anachronismen! Ein kleines
Schielen auf das Geburtsdatum läßt uns erkennen, wie legitim dies alles ist, und läßt uns,
wenn schon nicht wissen, so doch ahnen, wie redlich hier einer von seinem glücklichen
Verhältnis zu den Dingen zu plaudern vermag. Die Welt zu rühmen, mag verblüffend
wirken, schändlich ist es nicht!
©Kunstfreunde Bergstrasse e.V.